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In unserer Kultur hat sich das Mehrheitsprinzip als vorherrschende Entscheidungsform weitestgehend etabliert. Selbstbestimmte Gruppen, insbesondere solche, die sich auf anarchistische Prinzipien berufen, stellen dieser Form der Entscheidungsfindung häufig das Konsensprinzip entgegen. Ein funktionierendes Mehrheitsmodell hat in der Regel die Unterordnung einer Minderheit unter die Mehrheitsmeinung zur Folge. Im Konsensmodell wird versucht, solche Hierarchien und Machtverhältnisse zu vermeiden. Alle Beteiligten suchen nach Problemlösungen, die für alle akzeptabel sind, Lösungen, bei denen es keine Sieger und Unterlegenen gibt.
Bevor mensch sich mit dem Konsensprinzip im Detail beschäftigt, ist es sinnvoll, sich jenseits von diesem Prinzip einige Grundsätze für Entscheidungsfindungen klar zu machen. Bei allem Idealismus und allen Prinzipien habe ich in meiner inzwischen 13-jährigen Lebenspraxis in Projekten mit Konsensprinzip gelernt: Wir sind nicht alle vor jeder entscheidungsrelevanten Frage gleich. Wir sind unterschiedlich in Person und Kompetenz, wobei zumindest der letzte Aspekt je nach konkreter Frage verschieden ist. Diese Unterschiedlichkeit ist vielleicht relativierbar, aber nicht zu beseitigen. Ein anderes Phänomen ist das sogenannte Demokratie-Paradoxon: Wenn ich viel Mitbestimmung will, muss ich viel Aufwand betreiben (Information, Zeit), wenn etwas weniger Mitbestimmung auch genug ist, reicht auch weniger Aufwand. Ignoriert mensch diese Tatsache, entsteht die Gefahr, dass die Mitbestimmung zur Illusion wird, dass sich nicht legitimierte Mächte und Hierarchien bilden. Ein weiterer interessanter Grundsatz, der schon näher am Konsensprinzip hängt, ist folgender: Je größer der prinzipielle Konsens einer Gruppe ist, um so leichter sind Detailentscheidungen unterhalb des Konsens tragbar, um so leichter wird sich aber auch ein Konsens in Detailfragen herstellen lassen. Gibt es keinen Gruppenkonsens übergeordneter Art mehr, muss der Konsens im Detail hergestellt werden.
Der Konsens setzt den Willen zur Gemeinschaft voraus, besteht kein Interesse mehr an der Gemeinschaft, wird die Konsensfindung unmöglich. Eine Gruppe ist nur auf einer Basis – wie auch immer gearteter – Gemeinsamkeiten zur Konsensfindung in der Lage. Ein Konsens lässt sich nur in herrschaftsfreien Zusammenhängen finden.
Konsens heißt nicht Einstimmigkeit. Am Ende einer Entscheidungsfindung einer Gruppe, die sich dem Konsens verpflichtet fühlt, kann unterschiedliches stehen:
Für mich hat es manchmal den Anschein, als ob das Konsensprinzip auf das Vetorecht reduziert wird. Im Grundsatzpapier der Kommune Niederkaufungen steht: ""Ein ausdrückliches Vetorecht halten wir nicht für nötig, da der Wille zur Konsensfindung beinhaltet, einen Widerspruch auszudiskutieren."quot; Wenn der Wille zur Konsensfindung nicht mehr da ist, steht Trennung an. Diese Konsequenz wird nicht gesehen, bzw. sie wird aus Angst ausgeblendet.
Vor einem Veto oder gar einer Trennung gibt es aber eine Reihe Umgangsweisen, die eine Einigung noch möglich machen können, z.B. zeitliche Befristung einer Entscheidung, danach wird die Sinnhaftigkeit überprüft, Vertagung der Entscheidung, Nicht-Entscheidung, Losentscheidung oder auch Mehrheitsentscheidung. Gerade zu der letzten Lösungsmöglichkeit haben wir in Kaufungen für mich zu große Berührungsängste, nach dem Motto, wenn das erstmal einreißt, verkommen wir zur reinen Abstimmungsmaschinerie – hier wäre für mich mehr Mut angebracht. Unterhalb einer direkten Abstimmung in einer Einzelfrage liegt noch das Stimmungsbild. Meines Erachtens ist es nach einer länger anhaltenden Diskussion durchaus angebracht, ein Stimmungsbild zu erstellen. D.h. über eine schriftliche oder mündliche Runde oder einfach durch Handzeichen geben alle ihre Meinung kund, hier nicht mit dem Ziel, die Diskussion damit zu beenden, sondern um deutlich werden zu lassen, wohin all die tendieren, die sich nicht oder nur wenig zu Wort melden. Meine Erfahrung ist die, dass all zu oft nur einige wenige sich teilweise teilweise sehr heftig engagieren, die Meinung der meisten aber unbekannt bleibt. Ohne dass damit das letzte Wort gesprochen sein muss, kann es neue Bewegung in eine Diskussion bringen, wenn klar wird, ob eine Position nur von einer Person getragen wird oder von 90 Prozent der Anwesenden. Auch dies geschieht in Kaufungen für mich noch zu selten.
Die Entscheidungsfindung nach dem Konsensprinzip sollte meines Erachtens überhaupt mehr als eine Methode und nicht als das alleinige Prinzip verstanden werden. In Kaufungen haben wir seit Beginn eine weitgehende Autonomie der Arbeitsbereiche. D.h. die Arbeitsbereiche entscheiden weitgehend alleine über ihre Angelegenheiten, die Gesamtgruppe kann in die Arbeitsbereiche hinein regieren, tut das in der Regel aber nicht. Hier sind wir vielleicht in dieser Richtung schon wieder zu unbeweglich, manchmal sollte die Gesamtgruppe sich vielleicht mehr in die Arbeitsbereiche einmischen. Jenseits der Fragen, die die Arbeitsbereiche betreffen, versuchen wir alles im Konsens der Gesamtgruppe zu regeln. Bisher sind Versuche, andere Bereiche zu definieren, in denen Untergruppen Entscheidungen treffen können, nicht umgesetzt worden. Wenn alles in der Gesamtgruppe zu regeln ist, besteht die Gefahr, dass das System immer konservativer wird, keine Änderung der gegebenen Verhätnisse findet einen neuen Konsens, weil sich immer GegnerInnen finden. Dem kann nur begegnet werden, indem Teilgruppen Autonomie gewährt wird. Etwas Neues wird nicht erst dann eingeführt, wenn die letzten Zweifel ausgeräumt sind; Kleingruppen probieren etwas aus – wenn es sich bewährt hat, wird die Restgruppe sich leichter darauf einlassen können.
Jenseits von den allgemeinen Prinzipien gibt es aber auch noch Strukturen und Regeln, die eine Entscheidungsfindung erleichtern können. Wir haben in Kaufungen folgende Strukturen:
Regeln für das Redeverhalten sind ebenfalls hilfreich. Bei uns sind diese zwar mehr oder weniger bekannt, auf ihre Einhaltung wird aber weniger geachtet, ist ja auch schwieriger, wie auf die Strukturvorgaben.
Uli Barth, Niederkaufungen
aus: Los geht’s. Selbstbestimmt leben - Gruppen Gründen. Reader zum Pfingsttreffen ’99 in Kaufungen, Kaufungen 1999, S. 8 - 10
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zuletzt aktualisiert: 31.10.2011